Zum Thema „Hacks in der Unterwelt – Das poetische Werk nach ’89“ fand am 13. November in Berlin die Vierzehnte wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft statt. Acht Vorträge beschäftigten sich hier mit dem Werk des Dichters, das nach 1989 entstand und beleuchteten Hacks' Blick auf Staat und Gesellschaft in dieser, seiner letzten Schaffensperiode.
Berlin, 15.11.2021.
„Hin und wieder ein Gedicht / Schreibt er noch aus Dichterpflicht.“ – Obwohl aus diesen Zeilen, mit denen Peter Hacks' Gedicht „Jetztzeit“ endet, Resignation und Hoffnungslosigkeit klingen und obwohl das Ende der DDR für Hacks eine bedeutende politische wie poetologische Zäsur darstellte, besteht das Werk des Dichters, das nach 1989 entstand, aus weit mehr als nur lästigen Pflichtübungen. Auch nach der Konterrevolution, als Hacks sich selbst in der Unterwelt wiederfand, war seine Produktivität ungebrochen, sein Wirken umfangreich, vielfältig.
Und vielfältig sind auch die Beiträge der diesjährigen Hacks-Tagung, die sich mit genau diesem Wirken zwischen der „großen Schreckenswende“ und Peter Hacks' Tod beschäftigen, Titel der Tagung: „Hacks in der Unterwelt – Das poetische Werk nach ’89“.
Gleich zu Beginn geht Kai Köhler in seinem einleitenden Vortrag der Frage nach: „Was macht ein Etatist, wenn ihm sein Staat abhandenkommt und der neue Staat ein ihm feindlicher ist?“ Zur Beantwortung unterzieht Köhler Hacks' späte Stücke einer eingehenden Betrachtung. Besonders im Spätwerk gehe es um kluge politische Technik und um die Person, die diese Technik beherrscht, so Köhler. Dabei stünden die literarischen Figuren immer weniger für gesellschaftliche Gruppen und Tendenzen und immer mehr für eine Staatsklugheit – oder Staatsdummheit. Zudem stellt Köhler fest, dass – obwohl für Hacks die Außenpolitik „an der Politik das Geistlose“ war – im Spätwerk außenpolitische Verwicklungen zunehmend fabelbestimmend werden. Auf die Frage nach anderen als staatlichen Handlungsträgern antwortet Köhler: „Der Staat bleibt zentral. Der Staat bleibt die einzige Möglichkeit, Vernunft auf der Welt zu schaffen. Aber die Hoffnungen, die damit verbunden sind, sind im Spätwerk doch stark reduziert.“
Felix Kupfernagel und Jakob Ole Lenz beschäftigt in ihren jeweiligen Beiträgen Hacks' Auseinandersetzung mit der Romantik, sein Kampf für die Klassik. Dabei nehmen sie die beiden Essays „Ascher gegen Jahn“ und „Zur Romantik“ in den Blick. Sie zeigen – jeder mit eigenem Schwerpunkt –, wie Hacks Probleme seiner „Jetztzeit“ anhand von Konflikten des 18. und 19. Jahrhunderts behandelt.
Per Video-Brücke werden Nikon Kowaljow aus Moskau und Jürgen Pelzer aus Athen zugeschaltet. Beide befassen sich mit einzelnen Stücken aus dem Spätwerk von Peter Hacks: Nikon Kowaljow vergleicht das Schauspiel „Tatarenschlacht“ mit der Vorlage, Wladislaw Oserows „Dmitri Donskoi“ von 1807, und untersucht es auf mögliche Parallelen mit der russischen Zeitgeschichte.
Jürgen Pelzer widmet sich in seinem Beitrag der Aristophanes-Adaption „Der Geldgott“. In dieser habe Hacks den Original-Stoff so umgearbeitet, „dass nicht nur der Enteignungsprozess in der untergehenden DDR, sondern auch Züge des modernen Kapitalismus beleuchtet werden“, so Pelzer. Während Aristophanes lediglich ein Wunschbild – die Sehnsucht der unteren Schichten nach Überfluss, nach der Überwindung des Mangels – komödiantisch in Szene gesetzt und es im übrigen bei einem moralischen Appell belassen habe, bestünde Hacks' Ziel vielmehr darin, deutlich zu machen, „was aus dem Wunschbild des Reichtums in einer kapitalistischen Ökonomie wird“. So zeige er im „Geldgott“ einerseits „die ökonomischen Bedingungen bei der Übernahme (oder Selbstaufgabe) der DDR ..., die zur Enteignung und einer ungewissen und zudem vom Westen abhängigen Zukunft“ führten, und andererseits „die Mechanismen des modernen Kapitalismus“, sagt Pelzer.
Auch Detlef Kannapin konzentriert sich auf ein einzelnes, sehr kurzes und sehr spätes Werk von Peter Hacks: Das Dramolett „Der Parteitag“ ist eines der allerletzten Stücke des Dichters. In bis aufs Äußerste verknappter Form handelt es von innerparteilichen Intrigenspielen einer fiktiven Partei der Sozialvisionären Wiedergeburt. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Parteien waren sicher nicht unbeabsichtigt, doch darum gehe es im Kern nicht, so Kannapin. Er sieht im „Parteitag“ vielmehr einen Essay in Dialogform, der „ein idealistisches Manifest des sozialistischen Realismus und damit weder Drama noch Gegenwartsstück, sondern Zukunftsmusik ist, ein Thesenpapier zur Aufforderung, die Partei neuen Typs wiederzubeleben und ihre gesellschaftsverändernden Kader für die kommende sozialistische Leitungstätigkeit gründlich vorzubereiten.“ Dazu bettet Kannapin seine Betrachtungen in einen vergnüglich anzuhörenden Bericht über eine Deutschlandreise zweier Volkskommissare der illegalen Allunionskommunistischen Partei WKPS im März 2003 ein.
Auch zuvor war es schon etwas leichter zugegangen, als Ken Merten in einer „Science-Fan-Fiction“ Peter Hacks und Ronald M. Schernikau im Dichter-Olymp zusammenkommen lässt und mit ihnen eine „Zwei-Mann-Denkfabrik“ heraufbeschwört, „die sich der Maßnahmen zur Überwindung der Langeweile annimmt“. Und letztlich runden unter dem Titel „Zwischennachrichten aus dem Orionnebel“ gemachte Anmerkungen von Rayk Wieland zum Mindesthaltbarkeitsdatum der „Jetztzeit“-Gedichte die Tagung ab.
Mitschnitte aller Beiträge der Tagung bietet die Peter-Hacks-Gesellschaft in der Mediathek auf ihrer Internetseite sowie auf ihrem YouTube-Kanal zum Nachhören und -sehen an, ausgewählte Referate sollen außerdem im Hacks Jahrbuch 2023 veröffentlicht werden. Die traditionelle Vorabendveranstaltung – geplant war eine musikalische Lesung von Hacks' „Orpheus in der Unterwelt“ – musste in diesem Jahr krankheitsbedingt kurzfristig abgesagt werden.